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Kritik der Biosoziologie (Promp) - Kapitel 3-5

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Kritik der Biosoziologie (Promp)
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Anmerkungen, Literautur
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Kritik des biosoziologischen Ansatzes (3)

Betrachtet man zunächst die Modelle, auf denen Promp die Grundargumentation seines Ansatzes aufbaut, so läßt sich feststellen, daß gerade die verhaltensbiologisch orientierten Modelle, wie z.B. das psychohydraulische Instinktmodell nach Konrad Lorenz (vgl. Promp, 1990, S.47) (auch Modell zur doppelten Quantifizierung genannt) oder das Modell der Instinkthierarchie nach Niko Tinbergen (vgl. ebd., S.49) ursprünglich am Verhalten von Tieren entwickelt worden sind [13]. Daß sich aus diesem Umstand wiederum Fragen nach der Übertragbarkeit derartiger Modelle auf das menschliche Verhalten ergeben, ist oben schon bei der Behandlung von Mensch-Tier-Vergleichen angesprochen worden und soll in diesem Zusammenhang nicht weiter diskutiert werden. Das Problem, daß sich für den Leser jedoch aus diesem Sachverhalt ergibt, ist, daß er jedes Modell immer wieder kritisch in diesem Zusammenhang hinterfragen muß. [14]

Ansonsten muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß sich Promp auf die zu seiner Zeit aktuellen Erkenntnisse der Biologie stützt [15]. Akzeptiert man als Leser jedoch die im vorigen Kapitel aufgeführten Grundannahmen der Biosoziologie erst einmal, ist es sehr schwer, Lücken oder Fehler in Promps Gedankengang zu finden, da sich durch die Erkenntnisse der biologischen Teildisziplinen eine Argumentationskette ergibt, deren einzelne Hypothesen aufeinander aufbauen bzw. sich zwangsläufig auseinander ergeben. Auf eine derartige Kritik muß also an dieser Stelle verzichtet werden, nicht aber auf die Darstellung eines Nebeneffektes dieser Argumentationsweise: Promps Theoriegebäude ist derart auf die Argumentation in biosoziologischer Weise 'festgeschrieben', daß es ihm so gut wie unmöglich ist, Gedankengänge weiterzuentwickeln, die nicht mehr durch einen sich ergebenden Selektionsvorteil abgesichert sind. Als Beispiel soll an dieser Stelle folgende Textstelle zitiert werden:

"Da solche Beziehungen für Frauen, Fortpflanzungswilligkeit vorausgesetzt, kaum interessant sind, die weibliche Gunst aber eine conditio sine qua non für die Fortpflanzung der Männer ist - außer man greift zum Mittel der Vergewaltigung -, müssen die Männer sich den weiblichen Wünschen beugen und die Bereitschaft zur Beteiligung an der Aufzucht des gemeinsamen Nachwuchses signalisieren. In dem Maße, wie die materielle Versorgung von Mutter und Kind wesentlicher Aspekt dieser Beteiligung ist, muß der junge Mann zunächst einmal die wirtschaftliche Basis für eine Familiengründung erwerben, um überhaupt als Fortpflanzungspartner attraktiv zu sein." (Promp, 1990, S.101 f.)

An dieser Stelle zwingt die biosoziologische Argumentationsweise Promp, auf neuere gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. den Tatbestand, daß heute Frauen die Rolle der Erwerbstätigen vermehrt übernehmen, nicht einzugehen, geschweige denn sie erklären zu können. Desweiteren reduziert Promp an dieser Stelle den Aufbau einer Beziehung auf natürlich-ökonomische Überlegungen. [16]

Zusammenfassend läßt sich also noch einmal herausstellen, daß Promps Theorie auf argumentativer Basis sehr gut ausgearbeitet ist, daß aber sein Konzept auf die Akzeptanz bzw. die Erkenntnisse der Evolutions- und Verhaltensbiologie angewiesen ist, wodurch sich Promps eigener Argumentationsspielraum erheblich einschränkt.

Bevor eine etwas differenziertere Kritik des biosoziologischen Ansatzes durch Vergleich mit anderen Theorien erfolgen kann, soll zunächst als eine der Hauptfragen dieser Arbeit geklärt werden, inwieweit man überhaupt in bezug auf den biosoziologischen Ansatz von einer Sozialisationstheorie sprechen kann.

 

Beurteilung aufgrund der Anforderungen an eine Sozialisationstheorie (4)

Nach Tillmann "habe (eine Sozialisationstheorie, M.L.) das Verhältnis zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu erklären, müsse systematisch die onto­genetische Dimension des Lebenslaufs berücksichtigen und soll von einem aktiv-aneignenden Subjekt ausgehen" (Tillmann, 1989, S.22). Auf Promp bezogen läßt sich feststellen, daß er in seinem biosoziologischen Ansatz von der "(...) aktive(n) Auswahl und Verarbeitung des Umweltangebots als Eigenleistung des Heranwachsenden (...)" (Promp, 1990, S.115, vgl. auch S.106 u. S.117) [17] ausgeht. Auf die Forderung, daß "die Genese der Persönlichkeit im Sozialisationsprozeß zugleich auf Vergesellschaftung und Individuierung hinausläuft" (Tillmann, 1989, S.12) läßt sich in Hinblick auf Promp jedoch nur sagen, daß er diese Forderung in seine Ausgangsthese von Sozialisation mit aufnimmt (vgl. Promp, 1990, S.12), ansonsten allerdings nicht weiter (etwa im Sinne von Tillmann, 1989, S.125) darauf eingeht. Was die Berücksichtigung des Phasenmodells des Sozialisationsprozesses (vgl. Tillmann, 1989, S.21, Abb.2) anbetrifft, so dürfte Kapitel 2.3 dieser Arbeit eingehend deutlich gemacht haben, daß Promps Ansatz ontogenetisch orientiert ist. Betrachtet man jedoch das zu füllende (vgl. Tillmann, 1989, S.17 f.) Strukturmodell der Sozialisationsbedingungen [18], so beschränkt sich Promps Ansatz auf die Beschreibung bzw. 'Füllung' der Mikroebene der Sozialisation, häufig sogar auf die Subjektebene. Obwohl natürlich in Promps Ansatz auch Elemente der anderen Bereiche genannt werden [19], so liegt doch das Hauptinteresse dieses Ansatzes deutlich auf der Mikroebene. [20] Besonders deutlich fällt jedoch auf, daß gesellschaftliche Prozesse bei Promp nur geringe Beachtung finden, und daß, wenn schon Gruppen wie Familie, Peer-groups, etc. genannt werden, in diesem Zusammenhang keine weiteren Soziali­sationswirkungen analysiert werden (vgl. Promp, 1990, S.104). Ansonsten läßt sich noch zusammentragen, daß Promp versucht, insoweit ihm das möglich ist, seine Thesen durch biologische "Daten" abzusichern, ein umfassendes Konzept zu ent­werfen und seine Gedanken nachvollziehbar darzulegen (vgl. Tillmann, 1989, S.29). Man muß jedoch auch kritisch anmerken, daß Promp nicht darauf hinweist, daß es sich bei seinem Konzept nur um eine Konstruktion und nicht um die Wirklichkeit handelt (vgl. ebd.). Außerdem stellt Promp seinem Ansatz nur ein Modell kritisch gegenüber ('Wechselwirkungsmodell', vgl. Promp, 1990, S.112 ff.). An dieser Stelle soll daher auch durch einen Vergleich des biosoziologischen Ansat­zes mit anderen Theorieansätzen im folgenden Kapitel angeknüpft werden.

Abschließend läßt sich jedoch feststellen, daß man Promps biosoziologischen Ansatz im Sinne Tillmanns nicht als Sozialisationstheorie bezeichnen kann, da er die Makroebene der Sozialisation stark vernachlässigt. Aus gleichem Grund werden von Tillmann ja auch weder die psychologischen [21] (vgl. Tillmann, 1989, S.98), noch die soziologischen [22] (vgl. ebd., S.182) Basistheorien für sich allein genommen als Sozialisationstheorien anerkannt.

 

Vergleich mit anderen Sozialisationstheorien (5)

Vergleich mit psychologischen Basistheorien (5.1)

Im Vergleich mit psychologischen Basistheorien fallen in erster Linie Gemeinsamkeiten mit Promps biosoziologischem Ansatz auf: So vergleicht Promp in bezug auf Lorenz und Leyhausen die Selbstregulation des Antriebssystems mit einem Parlament, wobei

"Verstand und Erfahrung (...) sozusagen die 'Sachverständigenausschüsse' des Triebparlaments (bilden), hier wird die Situation 'durchberaten' und das Ergebnis wird als kurzes Gut­achten wieder an das Parlament zurückgegeben, das nunmehr seine Entscheidung treffen kann" (Leyhausen, 1952, S.62).

Im Laufe seiner weiteren Argumentation führt Promp aus, daß dabei

"die Erfordernisse der Situation und die Interessen des Organismus miteinander in Einklang gebracht (werden), wobei es von der Situation, den verfügbaren Erfahrungen und vom Zustand des Antriebsgefüges abhängt, wie der 'Verhaltenskompromiß' im einzelnen jeweils aussieht" (Promp, 1990, S.62).

An dieser Stelle drängt sich unweigerlich der Vergleich mit Freuds Instanzenmodell auf, mit dem Freud die Dynamik des psychischen Apparates als Vermittlung der 'Ich-Instanz' zwischen den Triebansprüchen des 'Es', den Moralanforderungen des 'Über-Ich' und den Anforderungen der Realität beschreibt (vgl. Tillmann, 1989, S.57 ff.). Promp scheint also Freuds Vorstellungen des psychischen Apparates in biologischer Weise zu beschreiben, wobei er aus diesem Modell eines Parlaments ableitet, daß Entscheidungen in Notsituationen je nach Gefährlichkeit der Situation immer mehr von instinktiven Verhaltensweisen gesteuert werden (vgl. Promp, 1990, S.62). Vergleicht man jedoch die Beschreibung der psychosexuellen Entwicklung, so ordnet Promp endogene Entwicklungen wie Saugen oder die Schließmuskelkontrolle der Organisationsphase der Säuglingszeit zu (vgl. ebd., S.92 u. S.95), wohingegen Freud diese Organisationsphase differenzierter und genauer betrachtet (vgl. Tillmann, 1989, S.60 f.). Auf diese Weise gelangt Freud auch zu einer geschlechtsspezifischen Betrachtung der ödipalen Situation (vgl. ebd., S.62 ff.), die von Promp nur am Rande angesprochen wird:

"Was bleibt, ist eine kurze Periode besonderer Eifersucht auf den Vater bei mehr oder weniger starker Abwehr durch die Mutter, was Freud zu seiner Theorie der 'ödipalen Phase' angeregt haben dürfte" (Promp, 1990, S.97).

An dieser Stelle soll auch angeführt werden, daß Erklärungen für das Auftreten kritischer Perioden in der Ontogenese, die Promp als Phasen der Umorganisation beschreibt (vgl. Promp, 1990, S.67), sowohl durch den psychoanalytischen Ansatz ("Ontogenese als einer Abfolge von Reifungskrisen", Tillmann, 1989, S.68), als auch durch den kognitionspsychologischen Ansatz (vgl. ebd., S.84 u. S.88), durch Eriksons psychologisches Konzept (vgl. ebd., S.202 f. u. S.208 f.) und durch den theorieverbindenden Ansatz von Habermas gegeben werden (vgl. ebd., S.218 u. S. 224). Außerdem werden Parallelen in Promps Argumentation zur kognitionspsychologischen Theorie (vgl. Promp, 1990, S.92 u. Anm. 40, 41 u. 68 zu Kap.3, und auch in bezug auf die von Piaget beschriebenen Stufen der kognitiven Entwicklung: Anm. 68, 77 u. 95 zu Kap.3) und zum lerntheoretischen Ansatz sichtbar (vgl. Promp, 1990, S.66 ff.) [23].

Es läßt sich also festhalten, daß es übereinstimmende Momente zwischen dem ontogenetischen Ansatz von Promp und verschiedenen psychologischen Basistheorien gibt. Die einzelnen Basistheorien gehen jedoch sehr viel ausführlicher auf ihre jeweiligen Gegenstandsbereiche ein.

 

Vergleich mit soziologischen Basistheorien (5.2)

In bezug auf soziologische Basistheorien läßt sich zunächst bei Promp nur eine Ähnlichkeit zwischen seinem Ansatz und den Grundannahmen des struktur-funktionalen Ansatzes von Parsons feststellen: So benutzt auch Promp den Vergleich mit dem System des menschlichen Körpers (vgl. Promp, 1990, S.25 mit Tillmann, 1989, S.110). Ansonsten entwickelt jedoch Promp aus seinen Grundannahmen über offen hierarchische Systeme (vgl. Kap. 2.2 dieser Arbeit) keinerlei Rollenkonzept. Promp setzt sich zwar intensiv mit dem Phänomen der Sprachentwicklung, der Sprache allgemein und verbaler bzw. non-verbaler Kommunikation auseinander (vgl. Promp, 1990, S.78), es gelingt ihm jedoch nicht, daraus eine Erklärung für Phänomene wie Rollen, Empathie, etc. zu entwickeln, wie sie z.B. der interaktionistische Ansatz bietet (vgl. Tillmann, 1989, S.135).

Abschließend soll an einem Zitat aus seinem biosoziologischen Ansatz Promps Grundhaltung zu gesellschaftlichen Theorien noch einmal deutlich gemacht werden, wodurch jeder weitere Vergleich mit makrosoziologischen Theorien wie z.B. dem struktur-funtionalen oder dem marxistischen Ansatz sich an dieser Stelle erübrigt:

"Biosoziologische Sozialisationsforschung könnte die Einseitigkeit der 'schicht'orientierten Sozialisationsforschung aufheben, die aus der Reduzierung der reichen menschlichen Umwelt auf wenige 'schichtspezifische' Merkmale in Verbindung mit dem Glauben an deren unmit­telbare Wirksamkeit resultiert, wobei die menschliche Natur als amorphe Masse den zu formenden Stoff abgibt." (Promp, 1990, S.117)

 

Vergleich mit theorieverbindenden Ansätzen (5.3)

Zum Vergleich soll an dieser Stelle kurz der Theorieverbund von Habermas angeführt werden: Von interaktionistischen Grundannahmen ausgehend entwickelt Habermas sein Konzept unter Einbezug des entwicklungslogischen Stufenmodells der kognitiven Psychologie (nach Piaget und Kohlberg) und des Konzepts der Reifungskrisen der Psychoanalyse (nach Freud und Erikson) und bindet diese Theorieelemente in eine marxistische Gesellschaftstheorie ein (vgl. Tillmann, 1989, S.214). Da auch Promp in sein Konzept durchaus Elemente anderer Sozialisationsansätze eingebunden hat (vgl. Punkt 5.1 dieser Arbeit), wäre auch in seinem Ansatz eine Berücksichtigung gesellschaftlicher Prozesse denkbar. Wenn Habermas sein Theoriegebäude auch nicht auf biologischen Grundlagen aufbaut, so gelingt es ihm trotz allem, gesellschaftliche Analyse und ontogenetische Perspektive zu verbinden:

"Indem er nach der Struktur und den Bewegungsgesetzen gegenwärtiger Gesellschaftsformationen fragt und diese Frage auch auf Sozialisationsprozesse bezieht, fügt er sein Modell der Ontogenese von Anbeginn in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ein." (Tillmann, 1989, S.226)

Im Vergleich dazu bettet Promp sein ontogenetisches Modell jedoch in ein komplexes Ökosystem ein (vgl. Punkt 4 dieser Arbeit), was ihm jedoch trotzdem die Möglichkeit offen lassen müßte, soziale Systeme oder gesellschaftliche Prozesse als Teil dieses Ökosystems zu betrachten. Wie schon oben kritisiert, erfolgt eine derartige Betrachtung allerdings nur unter allgemeinen Umweltgesichtspunkten.



 

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