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Kritik der Biosoziologie (Promp) - Kapitel 6-7

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Kritik der Biosoziologie (Promp)
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Kapitel 6-7
Anmerkungen, Literautur
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Einordnung und Kritik des biosoziologischen Ansatzes vor dem Hintergrund der Anlage-Umwelt-Problematik (6)

Für eine Einordnung des biosoziologischen Ansatzes nach Promp ist auch von Bedeutung, welchen Stellenwert dieser in der aktuellen Diskussion um Anlage- oder Umweltbedingtheit menschlicher Verhaltensweisen einnimmt. Da es an dieser Stelle unmöglich ist, den historischen Hintergrund der Anlage-Umwelt-Problematik aufzurollen, soll der aktuelle Stand der Forschung hier nur kurz dargestellt werden: In der Vergangenheit und auch heute gab bzw. gibt es Theoretiker, die auf die Vererbung (z.B. Galton, Burt, Bouchard, Watson, etc.) oder auf die Umweltbedingtheit (z.B. Lewontin, u.a.) menschlichen Verhaltens hinweisen (vgl. Horgan, 1993, S.76-83). In der letzten Zeit sind vor diesem Hintergrund besonders Zweifel in bezug auf die Zwillingsforschung aufgekommen: So äußert z.B. Leon J. Kamin begründete Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse der Minnesota-Studie, die Ende der 70er Jahre von Thomas J. Bouchard jr. durchgeführt worden war und seitdem eine große Popularität besitzt, und die "(b)ei praktisch allen untersuchten Merkmalen und Eigenschaften (...) eine starke genetische Komponente ermittelt(e)" (Horgan, 1993, S.77). Als weiteren Punkt führt Horgan an, daß es meist sehr schwierig ist, ein Verhaltensmerkmal genetisch zu identifizieren, da die Marker für bestimmte Verhaltensweisen meist auf unterschiedlichen Genen liegen. Trotzdem beschäftigen sich nach Horgan zur Zeit mehrere Forschergruppen mit der Untersuchung abweichenden Verhaltens wie Alkoholismus, Kriminalität und ähnlichen Phänomenen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß diese Gruppen bisher noch keine genetischen Bedingtheiten beweisen konnten [24], so daß mehrere Forschungsberichte in letzter Zeit immer wieder zurückgezogen werden mußten [25] (vgl. Horgan, 1993, S.82). Aus diesem Grund weist z.B. im Zusammenhang mit einem Gen für Alkoholismus

"der Harvard Biologe Richard C. Lewontin darauf hin, daß im allgemeinen Berichte etwa über die angebliche Entdeckung eines Alkoholismus-Gens sensationell aufgemacht, gegenteilige Ergebnisse oder die spätere Revision eines solchen vermeintlichen Befundes gar nicht beachtet würden. 'Skepsis macht keine Schlagzeilen', konstatiert Lewontin." (Horgan, 1993, S.77 f.)

Allerdings scheint sich in letzter Zeit ein neuer Trend zur Anlage-Hypothese abzuzeichnen. In diesem Zusammenhang gibt Horgan den folgenden Ausblick:

"Der Hauptgrund dafür, daß Vorstellungen der Eugenik [26] so beunruhigend wiederaufleben, sind jedoch die unerwartet raschen Erfolge bei der Kartierung des menschlichen Genoms und bei der Erarbeitung von Möglichkeiten, es zu manipulieren." (Horgan, 1993, S.76)

Vor diesem Hintergrund läßt sich vermuten, daß Modelle, die eher von der Anlagebedingtheit und Vererbung menschlicher Verhaltensweisen ausgehen, in nächster Zeit immer populärer werden könnten. Abschließend stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie Promp mit seinem biosoziologischen Ansatz zu dieser Problematik steht. Betrachtet man dazu das Theoriegebäude des biosoziologischen Ansatzes (vgl. Punkt 2 dieser Arbeit), so erscheint dieser Ansatz auf den ersten Blick deutlich in Richtung Anlageorientiertheit zu tendieren. Dies wird durch ein Zitat unterstützt, das Promp seinem Ansatz voranstellt:

"The discussion of socialization had for many years, and to some extent still has, a polemical import. It has been another way of downgrading biological factors and emphasizing the de­pendence of man on social learning." (Jaeger u. Selznick, In: Promp, 1990)

Betrachtet man jedoch den biosoziologischen Ansatz von Promp genauer, so läßt sich feststellen, daß Promp selbst zur Anlage-Umwelt-Problematik Stellung nimmt:

"Es ist deshalb sinnlos zu fragen, ob Erbe oder Umwelt, angeborene Struktur oder die Reize der Außenwelt das Verhalten bestimmen. Tatsache ist, daß die Umwelt immer auf ein organi­sches Substrat einwirkt, das nach immanenten Gesetzen auf die Umwelt reagiert. Die Umwelt allein vermag ebensowenig wie die angeborenen Verhaltensdispositionen usw. allein sinnvol­les Verhalten hervorzubringen. Leben heißt immer leben in einem Organismus-Umwelt-System." (Promp, 1990, S.103, Hervorhebungen durch Promp; vgl. auch S.65 u. Anm. 41 zu Kap.2)

Da Promp in der Anlage-Umwelt-Diskussion also keine Extremposition einnimmt, ist diese Einstellung als durchaus vernünftig anzusehen. Promp scheint jedoch den Optimismus, der oben schon im Zusammenhang mit dem Genom-Projekt angesprochen wurde, zu teilen:

"Es ist immerhin denkbar, daß ein Teil der Kriminalität, der Suizide, der psychosomatischen Erkrankungen usw. auf den phylogenetischen Vorgaben nicht entsprechende Sozialisationsbedingungen zurückzuführen ist. Vielleicht könnte die genauere Kenntnis des menschlichen Verhaltenssystems und seiner ontogenetischen Entwicklung eines Tages dazu führen, daß dem Menschen nicht angemessene Sozialisationsbedingungen gezielt verbessert werden können." (Promp, 1990, S.33)

 

Zusammenfassung und abschließende Beurteilung (7)

Ausgehend von dem Anliegen, den Versuch einer Kritik und Einordnung des biosoziologischen Ansatzes von Detlef Promp zu unternehmen, wurden zunächst die Hauptthesen dieses Konzeptes vorgestellt, wobei sich herausstellte, daß sowohl die anthropologischen Grundlagen seiner Theorie als auch die Ausrichtung an der Verhaltensbiologie durchaus hinterfragt werden können. Dabei stellte sich das Problem, daß grundsätzlich eine Auswahl biologischer Modelle erfolgen muß. Da viele dieser Modelle an tierischem Verhalten entwickelt worden waren, stellte sich auch die Frage nach der Übertragbarkeit derartiger Modelle auf den Menschen (Tier-Mensch-Vergleiche). Bei der Betrachtung der Argumentationsstruktur wurde offensichtlich, daß sich viele Thesen logisch auseinander ableiten lassen, so daß man, wenn man die Grundannahmen der Biosoziologie akzeptiert, auch die meisten Schlußfolgerungen als richtig anerkennen muß. Gleichzeitig wurde jedoch herausgestellt, daß Promp durch derartige Grundmodelle, wie z.B. die Gen-Selektionstheorie des Verhaltens, seinen Argumentationsspielraum erheblich einschränkt (Punkt 3). Vor diesem Hintergrund wurde der biosoziologische Ansatz auf die Frage hin untersucht, ob er die Anforderungen an eine Sozialisationstheorie erfüllt, mit dem Ergebnis, daß er sich im Sinne Tillmanns nicht als Sozialisationstheorie bezeichnen kann. Im Vergleich mit anderen Basistheorien stellte sich heraus (Punkt 5), daß es durchaus Übereinstimmungen zu psychologischen Theorien gibt, obwohl Promps Ansatz den makrosoziologischen Bereich stark vernachlässigt. Daß eine Verbindung zwischen ontogenetischen Grundlagen und gesellschaftlichen Konzepten durchaus möglich ist, wurde am Beispiel des Habermasschen Theorieverbundes gezeigt. Abschließend wurde der biosoziologische Ansatz vor dem Hintergrund der Anlage-Umwelt-Diskussion beurteilt, wobei sich zeigte, daß ein biologisches Konzept in Zukunft durchaus die Grundlage für weitere Untersuchungen und Erklärungen menschlichen Verhaltens bieten könnte.

Um abschließend die Frage zu klären, ob Promp die Verbindung von Biologie und Sozialwissenschaften gelungen ist, soll noch einmal kurz zusammengefaßt werden:

Als Basis für sein Konzept wählt Promp die Verhaltensbiologie. Da sich aber Promps Thesen durchaus mit Aspekten psychologischer und soziologischer Basistheorien decken, werden beide Disziplinen, die es zu verbinden gilt, berücksichtigt. Kann man zwar unter sozialisationstheoretischen Gesichtspunkten nicht von einem vollständigen Sozialisationsansatz sprechen, ist trotzdem erstaunlich, wieviele Thesen, die zum Teil auch dazu geeignet sind, Aspekte der Basistheorien zu bestätigen, Promp aus biologischen Fakten ableiten kann. Vor diesem Hintergrund kann man Promps Versuch, Biologie und Sozialwissenschaften einander näherzubringen, durchaus für geglückt halten.

Zum Abschluß dieser Arbeit soll allerdings kurz auf einen Aspekt eingegangen werden, der in der Diskussion um die Soziobiologie eine entscheidende Rolle spielt: Nach Tillmann "wenden sich (die Implikationen des Sozialisationsbegriffs) entschieden gegen alle biologischen Auffassungen, die die Persönlichkeitsentwicklung allein oder weit überwiegend auf genetisch fixierte 'Anlage'-Faktoren und ihre 'Reifung' zurückführen wollen" (Tillmann, 1989, S.13). Da Promp in seinem Konzept jedoch die Wechselwirkungen zwischen den "organischen Voraussetzungen der menschlichen Entwicklung" (ebd.) und den Umwelteinflüssen betrachtet (vgl. ebd.), fällt er nicht mehr unter die oben beschriebene Ablehnung biologistischer Konzepte. Wie nahe er sich jedoch an einer biologistischen Auffassung befindet, zeigt sich daran, daß viele der von den 'Gegnern' der Soziobiologie (wie z.B. Lewontin u.a.) geäußerten Kritiken auch auf die Biosoziologie und somit auf den biosoziologischen Ansatz Promps zutreffen [27]. Daher werden zukünftige Theorien, die sich auf diesen biosoziologischen Ansatz stützen, diesen Konflikt immer 'im Auge behalten' müssen, wollen sie sich nicht zu sehr einer biologistischen Auffassung nähern.



 

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